6.8. Steuerung der Reaktionsfolge
Wie schon in 6.5.5 angesprochen, kann mit Hilfe der genealogischen Variablen gesteuert werden, welche Reaktionstypen nach einem bestimmten Reaktionstyp folgen dürfen. In der Massenspektroskopie stellt die radikalische
Wasserstoffumlagerung durch die Erzeugung einer Fülle von Reaktionen und damit einer großen Zahl von Ionen ein gewisses Problem dar. Schließt man induktive Fragmentierungen nach einer radikalischen Wasserstoffumlagerung aus, verliert man fast
keine Information, da die Ionen, die eine Wasserstoffumlagerung eingehen, sich in einem angeregten Zustand befinden und durch ihre Anregung und das radikalische Zentrum mit großer Wahrscheinlichkeit nach einer oder mehreren Umlagerungen eine
-Spaltung
eingehen. Dazu verwendet man eine genealogische Variable für die Aggregate vom Typ int und initialisiert sie während der Vorbehandlung der Ausgangsmaterialien beispielsweise mit null. Für das Reaktionsprodukt aller Wasserstoffumlagerungen setzt
man sie dann auf eins und schließt alle Reaktionstypen außer der Wasserstoffumlagerung und der
-Spaltung aus, wenn diese genealogische Variable für das Edukt der Reaktion auf eins gesetzt ist. Eine
-Spaltungsreaktion
setzt die genealogische Variable wieder zurück auf null.
In gleicher Weise kann man auch abschnittsweise bestimmte Reaktionstypen vorschreiben. So kann man festlegen, daß induktive Spaltungen erst durchgeführt werden, nachdem alle möglichen radikalischen Reaktionen stattgefunden haben und ab dann keine
anderen radikalischen Reaktionen mehr durchgeführt werden können, auch wenn etwa durch eine Abspaltung eines Halogenatoms wieder ein Radikalzentrum in das Kation eingeführt wird. Dazu erzeugt man eine weitere genealogische Variable für die
Aggregate, initialisiert sie mit null und setzt sie für das Produktkation auf eins, wenn es kein Radikalzentrum mehr enthält. Werden nun alle radikalischen Reaktionstypen, wie die radikalische Wasserstoffumlagerung oder die
-Spaltung,
unterdrückt, wenn diese Variable gesetzt ist, werden keine Radikalreaktionen mehr durchgeführt, wenn ein Kation auf seinem Entstehungsweg einmal kein Radikalzentrum mehr enthalten hat.
Eine andere Möglichkeit ist, die Anregungsenergie der Kationen zu bestimmen und abhängig davon Reaktionen mit höheren Aktivierungsenergien auszuschließen. Daneben sind auch die Geschwindigkeitskonstanten nicht unabhängig von der Anregungsenergie
des Kations. Betrachten wir hierzu die beiden Reaktionsfolgen in Abbildung 123.

Abbildung 123: Die Reaktivitäten der beiden Folgereaktionen sind unterschiedlich, da die Anregungsenergien der Edukte der Folgereaktion verschieden sind.
Die 1-Hexylkationen haben eine unterschiedliche Anregungsenergie, da die Neutralfragmente, die im ersten Reaktionsschritt abgespalten werden, durch ihre unterschiedliche Zahl an Atomen und damit an Freiheitsgraden einen verschiedenen Teil der anfänglich
gleichen Anregungsenergie erhalten. Erhalten die abgespaltenen Neutralfragmente unterschiedliche Energien, bleibt in beiden Fällen auch eine verschiedene Anregungsenergie für die 1-Hexylkationen übrig. Dies gilt nicht nur für die Abspaltung
unterschiedlich großer, sondern auch für unterschiedlich schwere Neutralfragmente. In den Massenspektren von 1-Hexylchlorid (siehe Abbildung 124) und 1-Hexyliodid (siehe Abbildung 125)
ist im Massenbereich von 25 bis 85 Masseneinheiten (m/z) deutlich zu erkennen, daß die Weiterfragmentierung des 1-Hexylkations im Falle des 1-Hexyliodids durch seine geringere Anregungsenergie schwächer ist. Das einzige Ion, das ein Signal mit einer
großen Intensität besitzt, den Basepeak, ist das Isopropylkation (m/z 43).

Abbildung 124: Massenspektrum von 1-Hexylchlorid.

Abbildung 125: Massenspektrum von 1-Hexyliodid.
Ebenso, wie die Anregungsenergie der Kationen, kann die Zahl der radikalischen Wasserstoffumlagerungen auf eine funktionelle Gruppe zur Beschränkung der Reaktionsgenerierung herangezogen werden, wie es in Abschnitt 4.2.2.4
beschrieben ist.
Wurden alle Atome eines Aromaten in der Ausgangsverbindung als zum aromatischen System gehörend markiert, kann so verhindert werden, daß aromatische Ringe fragmentiert werden, bevor alle Seitenketten abgespalten wurden. Die Möglichkeit der Steuerung
der Reaktionsfolge durch genealogische Variablen ist dabei nicht auf den Schutz aromatischer Systeme beschränkt.
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