3. Komponenten eines Systems zur Simulation von Reaktionen
3.1. Grundsätzlicher Aufbau eines Systems zur Simulation von Reaktionen
Ein System zur Vorhersage von Reaktionen besteht grundsätzlich aus mehreren Teilen. Offensichtlich gehören die chemische Datenstruktur und der Reaktionsgenerator sowie der Aufbau des Reaktionsnetzwerks dazu. Hierin unterscheiden sich die Programme
zur Reaktionssimulation nur wenig. Alle Programme zur Vorhersage von Reaktionen sind wissensbasierte Systeme, die auch Module für die Beschreibung der Reaktionstypen und Bewertung der Reaktionen enthalten. Die Art, in der die Reaktionstypen und Bewertungen
festgelegt werden, teilt die existierenden Programme jedoch in mehrere Gruppen, was in den nächsten Abschnitten beschrieben wird. Eine Übersicht über alle Teile eines Programms zur Reaktionsvorhersage gibt Abbildung
4.

Abbildung 4: Generelles Aufbauschema eines Systems zur Reaktionsvorhersage.
3.2. Repräsentation chemischer Strukturen (Bindungsliste)
Die überwiegende Zahl der Programme zur Reaktionsvorhersage verwendet die Darstellung der chemischen Struktur als Bindungsliste, also in der Weise, wie man sie nach Lewis schreibt (z.B. Benzol mit alternierenden Einfach- und Doppelbindungen). Dies liegt
einerseits daran, daß sich die Reaktionen für diese Darstellung der chemischen Struktur auf einfache Weise als Änderung der Bindungsordnungen und Zahl der freien Elektronen beschreiben lassen und andererseits an der Tatsache, daß eigentlich
bei alle Reaktionen in computerlesbarer Form, die in Datenbanken gespeichert sind, die Edukte und Produkte auf diese Weise kodiert sind. Aus ihnen lassen sich Bewertungen für einzelne Reaktionstypen ableiten. Die Beschränkungen der Darstellung als
Bindungsliste, daß beispielsweise keine Verbindungen mit Mehrzentren-Bindungen wie Borane dargestellt, sowie die Struktur von Substanzen mit komplexen
-Systemen nicht eindeutig kodiert werden können, hat man dabei für
die einfachere Kodierung der Strukturen und Reaktionen in Kauf genommen.
3.3. Beschreibung von Reaktionstypen
Bei der Beschreibung der Reaktionstypen, die ausgeführt werden, teilen sich die Systeme dagegen in zwei Gruppen. Auch die Vorläuferprogramme des im Rahmen dieser Arbeit entwickelten Programms EROS7 (Erzeugung von Reaktionen für die Organische
Synthese) gehören zu diesen Gruppen. EROS5 [9] hat fest eingebaute Definitionen von Reaktionstypen, die allerdings gesteuert werden können. EROS6 [10][11][12] hat dagegen eine externe Wissensbasis mit einer eigenen Sprache, in der die Reaktionstypen kodiert werden.
3.4. Bewertung der Reaktionen
Auch bei dem Programmteil, der die erzeugten Reaktionen bewertet, gibt es starke Unterschiede. Grundsätzlich gibt es die Möglichkeit einer Reaktion zuzuordnen, ob sie stattfindet oder nicht. Zur Gruppe der Programme, die selbst entscheiden, welche
Reaktionen ablaufen, gehört auch EROS5, das aufgrund von eingestellten, topologischen Eigenschaften und der Reaktionsenthalpie selbst entscheidet. Neben diesen Systemen gibt es eine weitere Gruppe von Programmen, die die Entscheidung, ob eine Reaktion
stattfindet oder nicht, dem Chemiker überlassen, wie das in umgekehrter Richtung arbeitende Syntheseplanungsprogramm IGOR [13]. Darüber hinaus kann man durch die Angabe von Geschwindigkeitskonstanten oder Reaktionswahrscheinlichkeiten
genauer angeben, wie gut eine Reaktion abläuft. EROS6 kann aus physikochemischen Eigenschaften der Edukte und Produkte am Reaktionszentrum auch Geschwindigkeitskonstanten oder Reaktionswahrscheinlichkeiten bestimmen und sie für die Berechnung der
Endkonzentrationen verwenden.
3.5. Massenspektrenvorhersage
Erweitert man ein System zur Vorhersage von Reaktionen um ein Modul, das abhängig von der Ladung und den Konzentrationen der Produkte sowie ihren atomaren Zusammensetzungen die Intensitäten der Signale im Massenspektrum berechnet, kann das Reaktionsvorhersageprogramm
auch zur Simulation von Massenspektren eingesetzt werden. Dabei wird ferner davon ausgegangen, daß die in der Ionisationskammer ablaufenden Prozesse mit dem System als Reaktionen formuliert werden können.
Die in CHEMICS (siehe 2.5.1) eingebaute Vorhersage von Massenspektren enthält etwa 150 Fragmentierungsregeln [5]. Die einzelnen Fragmentierungen werden allerdings nur mit den
beiden Werten null und eins (Reaktion läuft ab bzw. läuft nicht ab) bewertet. Es kann deshalb keine Intensitäten der Signale simulieren [14].
Im Gegensatz dazu kann MASSIMO [15], das aus EROS6 hervorgegangen ist und um die notwendigen Programmteile ergänzt wurde, mit entsprechenden Bewertungen in den Regeln auch Intensitäten der Signale vorhersagen
und kommt mit etwa einem Dutzend verschiedener Fragmentierungs- und Umlagerungstypen aus. Die Regeln sind die Wissensbasis von MASSIMO, in denen die Reaktionstypen und Bewertungsfunktionen zur Berechnung der Reaktionswahrscheinlichkeiten kodiert sind.
3.6. Verwendung zur Syntheseplanung
Soll ein Reaktionsvorhersageprogramm zur Syntheseplanung eingesetzt werden, müssen an das System zusätzliche Forderungen gestellt werden. Bei vielen Reaktionen entstehen kleine Moleküle als Coprodukte, wie zum Beispiel Wasser bei einer Veresterung.
Für eine Syntheseplanung müssen diese während des retrosynthetischen Schrittes hinzugefügt werden. Da diese kleinen Moleküle nicht zusammen mit dem Syntheseziel angegeben werden, muß sie das Programm während der retrosynthetischen
Schritte hinzufügen können. Weil EROS5 auch noch die Bewertung für die Syntheseplanung gegenüber der Reaktionsvorhersage umstellen konnte, war es möglich, mit EROS5 sowohl Reaktionsvorhersagen wie Syntheseplanungen vorzunehmen.
Bei der Weiterentwicklung der Syntheseplanungsprogramme ging man oft von den reinen retrosynthetischen Schritten zu wesentlich komplexeren Transforms über, die häufig funktionelle Gruppen kanonisieren und damit auch Elemente austauschen. Unter Kanonisierung
versteht man hier die Umwandlung verschiedener, gleich reagierender und ineinander überführbarer funktioneller Gruppen in eine stellvertretende. Daneben können sich auch mehrere Teile der Verbindung gleichzeitig verändern, ohne das als Reaktion
zu formulieren, oder eine umfangreiche Suche und Bewertung von strategischen Bindungen durchgeführt werden. Dies stellt an die Syntheseplanung Anforderungen, die meist von den Programmen zur Reaktionsvorhersage nicht erfüllt werden konnten. Durch
den Wechsel von retrosynthetischen Schritten zu Transforms, ist es gelungen, durch das Überspringen mehrerer Schritte gezielter zu den Vorstufen zu gelangen. [16] Die Einführung der komplexeren Transforms war
auch der Grund, weshalb sich die Syntheseplanungsprogramme aus ihren Vorläufern zur Reaktionsvorhersage als eigenständige Werkzeuge entwickelt haben. Dies ist so geschehen bei der Fortentwicklung von EROS5, wobei EROS6 für die Reaktionsvorhersage
und WODCA (Workbench for the Organisation of Data for Chemical Applications) [16] für die Syntheseplanung hervorgingen. Da EROS6 und WODCA aus der gleichen Entwicklung stammen, haben sie intern auch die gleiche Darstellung
der chemischen Struktur als Bindungsliste und eine externe Wissensbasis mit den Reaktionstypen bzw. Transforms. Den gleichen Aufbau hat unter anderem auch das Syntheseplanungsprogramm LHASA (Logic and Heuristic Applied to Synthesis Analysis) [17].
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